Dialog braucht Raum

Forum der Stiftung Zukunft Berlin zum Umgang mit den innerstädtischen Konflikten nach dem 7. Oktober.

Thor Hagedorn | Stiftung Zukunft Berlin

Die öffentliche Debatte zum Nahostkonflikt wird in Berlin vielfach zu eng und einseitig geführt: Das ist der zentrale Befund eines Dialogforums der Stiftung Zukunft Berlin (SZB) zu der Frage, wie die Polarisierungen in der Berliner Stadtgesellschaft seit den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober 2023 überwunden werden können. Teilgenommen haben rund 50 Vertreter*innen aus jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften, aus der Berliner Zivilgesellschaft sowie insbesondere aus der Wirtschaft und aus den Hochschulen, wo es zuletzt besonders massive Auseinandersetzungen gegeben hat. Vielfach wurde dabei bedauert, dass Menschen sich aus dem öffentlichen (auch dem hochschulinternen) Diskurs zurückziehen, weil sie sich dort zu schnell abgestempelt oder sogar bedroht fühlen. Dabei wurden nicht zuletzt auch die emotionalen Verletzungen deutlich, die durch diese Art kompromisslos zugespitzter Auseinandersetzungen entstehen – mit massiven negativen Auswirkungen auf die Dialogfähigkeit der gesamten Stadtgesellschaft.

Im Ergebnis des Dialogforums zeigt sich der breite Wunsch nach einer Verbesserung des Diskussionsstils zu Nahostthemen in Berlin. Insbesondere:

  • Die Enge der Debatte zu Israel und dem Gazakrieg, in der von allen Seiten viel zu schnell Bekenntnisse eingefordert statt Argumente ausgetauscht werden, hat bei vielen Menschen, die aus der Nahostregion stammen, zu einer unguten Rückzugshaltung geführt. Stattdessen wäre gerade hier ein Lernprozess mit einem fairen, von Respekt getragenen Umgang miteinander nötig, in dem die gemeinsame Zugehörigkeit zur Stadtgesellschaft allgemein als Grundlage akzeptiert wird. Dieses Zugehörigkeitsgefühl zu stärken bzw. es überhaupt erst wieder möglich zu machen, muss der zentrale Anspruch der künftigen Arbeit sein.
  • Insbesondere die öffentliche Wahrnehmung – zumal, wenn sie sich in der veröffentlichten Meinung zu Klischees verfestigt – ist dabei aktuell ein riesiges Problem. Viele Menschen fühlen sich viel zu schnell einer politischen Seite zugeordnet. Das erschwert bzw. schließt aus, im Dialogprozess ernsthaft nach gemeinsamen Wegen des Zusammenlebens in Berlin zu suchen. Und diese Art des verkürzten öffentlichen Diskurses prägt wiederum die Akteure, sei es durch Verstärkung ihrer Ängste oder sei es durch den Mangel an Resonanz auf ihre Argumente. Im Ergebnis verstärkt sich die Polarisierung.
  • Dialog braucht Raum – was sowohl inhaltlich als auch organisatorisch gemeint ist. Inhaltlich Raum zu lassen für Argumentationen, auch wenn man diese selbst nicht teilt, ist Voraussetzung für ernsthafte Auseinandersetzung miteinander. Es braucht dann zugleich aber auch Gelegenheiten und Orte, an denen eine respektvolle Debatte möglich wird und dabei auch Emotionen zugelassen sind, ohne dass Äußerungen gleich stadtöffentlich für die eine oder andere Seite ausgeschlachtet werden. Hier gibt es auch eine besondere Verantwortung der Medien in der Stadt, nicht Hass- und Gewalterfahrungen in den Mittelpunkt zu rücken, sondern auch über gelungenen Dialog und erfolgreiche Projekte zu berichten.
  • Es kommt gerade beim Thema Nahost sehr auf den Ton im Gespräch miteinander an. Zugewandtheit über Meinungsunterschiede hinweg: Darum geht es. Der allgemein aggressiver gewordene Stil der politischen Debatte wirkt sich hier negativ aus. Eine der großen Herausforderungen der Demokratie in Berlin ist es, Gegenbeispiele zu stärken und den Diskursstil wieder zu verbessern. Dazu müssen auch Debattierräume neu geschaffen bzw. vorhandene aktiviert und genutzt werden. Das ist eine Herausforderung für die Stadtgesellschaft insgesamt, weit über die Zuspitzung seit dem 7. Oktober hinaus.

Es war das zweite Dialogforum dieser Art, das die Stiftung Zukunft Berlin organisiert hat – diesmal fand es an der Johanna-Eck-Schule in Berlin-Tempelhof statt. Das erste Forum war im Januar an der Rütli-Schule in Kreuzberg veranstaltet worden. SZB-Vorstandssprecher Markus Dröge sagte zu den Ergebnissen des Forums in Tempelhof: „Es ist erneut klar geworden, wie tief die Risse in unserer Stadtgesellschaft speziell bei diesem Thema reichen. Aber wir haben auch ein Beispiel gegeben, wie darüber voller Respekt und Zugewandtheit gesprochen werden kann. Es kommt jetzt darauf an, diese positive Erfahrung in die Stadt zu tragen und weitere gute Beispiele zu schaffen. Die Stiftung Zukunft Berlin sieht hier eine große Aufgabe für die Berliner Demokratie insgesamt. Es ist aber auch eine Aufgabe, an der die Stadt wachsen und ihren Charakter als weltoffene Metropole verteidigen kann. Wir als Stiftung werden weiter massiv in diese Richtung vorangehen.“